Bodyshaming: Mein Körper, mein Feind?
Nur sechs von 10.000 Frauen entsprechen dem Schönheitsideal, viele Jungs trainieren verbissen für große Muskelpakete. Bodyshaming ist in unser aller Alltag angekommen.
Egal, welche Medien in unser Blickfeld kommen, überall werden uns „schöne“ Menschen gezeigt, also Frauen und Männer, die unserem aktuell gängigen Empfinden von Schönheit entsprechen. Doch die Kehrseite dieser Vermittlung von fast unerreichbaren Idealen wird immer ausgeprägter, wie Veronika Graber und Felice Gallé vom Frauengesundheitszentrum in Graz wissen: „Was nicht dem aktuellen westlichen Schönheitsideal jung-sportlich-dünn entspricht, wird häufig als Abweichung abgewertet.“
Und diese Abwertung, Beleidigung oder Diskriminierung anderer Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes vor allem in sozialen Medien wird als Bodyshaming bezeichnet. Aber Josua Russmann von der Fachstelle für Burschenarbeit sieht dahinter noch sehr viel mehr: „Erstens die Unzufriedenheit und das Unwohlfühlen im eigenen Körper. Zweitens einen anderen Menschen schlecht zu machen, weil sie oder er keinen perfekten Körper hat, wie wir ihn von Werbeplakaten kennen.“
Fast alle Menschen sind mehr oder minder davon betroffen, denn jede und jeder möchte sich in seinem Körper wohlfühlen und sich gerne im Spiegel betrachten, dabei ist es egal, welchem Geschlecht man angehört. Geschlechterspezifische Unterschiede gebe es dennoch, so Josua, denn bei Männern würde es eher um Körper- und Penisgröße, Bart oder Muskeln gehen, während für Frauen immer noch die Modelmaße 90-60-90 Thema seien.
Wie unrealistisch diese Vorstellungen jedoch sind, zeigen Studien, von denen uns Felice und Veronika berichten: „Von 10.000 deutschen Frauen, die für eine Studie gemessen wurden, haben sechs Frauen diese Maße.“ Als problematisch gesehen wird von unseren Expertinnen vor allem auch die Gleichsetzung, dass dünn sein gleich gesund sein bedeutet, denn sowohl zu viel als auch zu wenig Gewicht sind bedenklich und gehören ärztlich abgeklärt!
„Es hängt aber nicht von den Körpermaßen ab, ob ich mich in meinem Körper und meinem Leben wohlfühlen kann“, so Felice und Veronika, die sich einig sind, dass glücklich sein nicht davon abhängt, einem meist unerreichbaren Ideal zu entsprechen. Selbstakzeptanz heißt dann hier wohl die Devise – aber wie schafft man es, sich von Medien nicht beeinflussen zu lassen und sich selbst so zu mögen, wie man ist?
„Ein Tipp von mir ist, dass ihr, wo immer ihr unterwegs seid, Menschen um euch herum beobachtet. Schnell werdet ihr feststellen, dass die meisten nicht so aussehen und sich nicht so bewegen, wie es in Medien und der Werbung aussieht“, rät Josua. „Viel zu oft denken wir nur darüber nach, was an uns eigentlich nicht gut ist. Das ist doch viel zu anstrengend, oder? Stattdessen ist es besser, sich zu überlegen, was einem an sich selbst gefällt.“
Dem stimmen auch Veronika und Felice zu und raten noch, den Fokus nicht nur aufs Äußere zu legen: „Die äußere Erscheinung ist nur ein Puzzlestein meiner ganzen Persönlichkeit. Da gibt es noch viel mehr: Humor, Intelligenz, Können, Begabungen, soziale Stärken, Fantasie, Ausstrahlung … Das alles zusammen macht mich aus.“
Veronika Graber: „Es hängt nicht von den Körpermaßen ab, ob ich mich in meinem Körper und meinem Leben wohlfühle. Ein gutes Körpergefühl aufbauen, Genuss und Entspannung kultivieren und sich nicht immer nur von außen betrachten. Die äußere Erscheinung ist nur ein Puzzlestein deiner ganzen Persönlichkeit!“
Felice Gallé: „Fokus weg vom Aussehen –gut und wohlwollend zu sich selbst und anderen Frauen und Mädchen sein. Es geht dabei auch um Geschlechterrollen: Mädchen wird früh eingeredet, dass Aussehen ganz wichtig ist. Hier gilt es, sich zu wehren! Wenn wir nicht ständig dem Schönheitsmythos nachhecheln, bleibt uns viel Kraft, Zeit und Geld für Wesentlicheres.“
Josua Russmann: „Sich selbst zu akzeptieren und zu mögen ist eine der größten Herausforderungen und kann auch nicht immer gelingen. Viel zu oft denken wir nur darüber nach, was an uns nicht gut ist. Das ist doch viel zu anstrengend, oder? Es ist viel besser, sich zu überlegen, was man an sich selbst mag.“
Kommentar:
Einfach mal vor der Haustüre in die Realität eintauchen!
Beim Einkaufen fängt es schon an: Sämtliche Hosen sind mir zu lang, der Stiefelkauf ist fast unmöglich, weil meine Waden nirgends hineinpassen und viele T-Shirts könnte ich als Nachthemd anziehen. Obwohl ich dem österreichischen Durchschnitt entspreche – 1,65 m und 67 Kilo bei Frauen – scheine ich für die Modeindustrie völlig unpassend zu sein.
Das zeigt mir auch die Werbung, denn groß, dünn und vollbusig ist gefragt. Wenn ich durch die Kanäle schalte, unterschiedliche Programme und Produkte ansehe, sehe ich doch nur den Einheitsbrei der Werbeindustrie.
Mein Rat daher: die Medien mal beiseitelassen und vor der Haustür in die Realität eintauchen, wo groß, klein, dick, dünn, dunkelhaarig und blond vertreten sind, und sich einfach mal an Vielfalt und Individualität erfreuen, statt die eigene Einzigartigkeit immer als Makel zu sehen.
ELISABETH GRABNER
fyi – for your info
Lies dazu auch Liebe & Sex: Limited Edition
Noch mehr dazu erfahrt ihr in den vollständigen Interviews mit Felice, Veronika und Josua
https://www.youtube.com/watch?v=iYhCn0jf46U
Beitragsbild: agnesliinnea/Pixabay
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