Interview mit Felice Gallé und Veronika Graber vom Frauengesundheitszentrum
Interview mit Felice Gallé und Veronika Graber vom Frauengesundheitszentrum in Graz.
Könnt ihr kurz erklären, was man unter Bodyshaming überhaupt versteht? Und: Ist dieses übersteigerte Interesse am Aussehen (dem eigenen aber auch dem der anderen) in unserer Gesellschaft überhaupt noch normal?
Andere, aber auch sich selbst, nach der äußeren Erscheinung zu beurteilen, ist vor allem in sozialen Medien gang und gäbe. Was nicht dem aktuellen westlichen Schönheitsideal jung-sportlich-dünn entspricht, wird häufig als Abweichung abgewertet. Diese Abwertung (Bodyshaming) ist eine Art der Beleidigung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes. Häufig trifft sie Frauen und Mädchen.
Die Abwertung kann direkt oder per Postings auf Instagram und Co geschehen. Die Folgen können Scham sein und das Gefühl, nicht richtig zu sein, nicht zu genügen. Das hat Auswirkungen auf die seelische Gesundheit der Betroffenen, aber auch auf die körperliche, etwa durch ungesundes Essverhalten bis hin zu Essstörungen.
Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ist unter jugendlichen Mädchen sehr verbreitet und wird durch Social Media verstärkt. In Workshops des Frauengesundheitszentrums nennen Mädchen oft Instagram und Facebook als Quellen, wo sie Bilder von scheinbar „perfekten Frauen“ sehen. Das hat sich in den letzten Jahren verändert, davor waren es vor allem Werbeplakate.
Welche Auswirkungen, Risiken und Gefahren sind mit diesem Thema verbunden?
Durch Vergleich mit Bildern von scheinbar „perfekten Frauen“ kann Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen entstehen und der Wunsch, sich selbst, den eigenen Körper zu verändern. Ein Großteil der 14-jährigen Mädchen hat Erfahrungen mit Diäten. Das hören wir in den Workshops und wissen es aus Studien (z. B. HBSC-Studie.) Diäten können der Einstieg in eine Essstörung sein, etwa Bulimie oder Magersucht.
Das Wiener Programm für Frauengesundheit hat in einer Studie festgestellt: „Mädchen werden am häufigsten aufgrund ihres Aussehens im Allgemeinen und ihrer Figur kritisiert, Burschen wegen ihrer Haare/Frisur. Mädchen reagieren sensibler auf negative Bewertungen: Sie sind eher gekränkt bzw. schämen sich doppelt so häufig wie Burschen für ihren Körper/ihre Figur. Sie gaben auch an mit ihrem Äußeren dadurch unzufrieden geworden zu sein und an Selbstbewusstsein verloren zu haben.“
Menschen vergleichen sich mit anderen. Welche Vor- und Nachteile hat das?
Vergleiche können anspornen. Die Frage ist nur: Mit wem vergleichen wir uns und wozu spornt uns das an? Wenn es zu gesundheitsförderlichem Verhalten und mehr Wohlbefinden ist – wunderbar. Geht es aber um unrealistische Schönheitsnormen, wird das im Gegenteil unzufrieden machen und ungesund sein.
Sehr interessant ist die Fidschi-Studie. Auf der Insel Fidschi galten lange Zeit fülligere Formen als schön. Nach Einführung des Fernsehens und damit dem Einzug von amerikanischen Fernsehsoaps samt westlichem Schönheitsideal nahmen Essstörungen bei Mädchen zu. (Siehe: Anne Becker: Body, Self, and Society: The View from Fiji. University of Pennsylvania Press, 1995.)
Wie sieht denn eigentlich die durchschnittliche Frau in unseren Breitengraden aus?
Eine Frau aus dem Computer scheint „perfekt“. 3 500 000 000 echte Frauen sind es nicht. Echte Frauen und Mädchen sind klein, groß, dünn, kurvig, aus unterschiedlichen Ländern, mit oder ohne Brille, auf zwei Beinen unterwegs oder per Rollstuhl, mit Locken oder glattem Haar. Jede ist einzigartig.
Unique!
Diesen kurzen Animationsfilm zum Thema Schönheit und dem Geschäft damit hat die Grazer Künstlerin Ulla Klopf gemeinsam mit Schülerinnen, dem Frauengesundheitszentrum und dem DOKU Graz gemacht.
Kleidergrößen werden übrigens durch Reihenmessungen ermittelt – dann aber durch die Modefirmen an ihre „Wunschkundinnen“ angepasst. Auch so wird eine Scheinnormalität erzeugt. (Siehe: Der Standard, 8.10.2016.)
Wie realistisch sind da die Ideale, die uns in den Medien vermittelt werden?
Sehr unrealistisch! Die berühmten Idealmaße 90-60-90 sind dafür ein weiteres Beispiel. Von 10 000 deutschen Frauen, die für eine Studie gemessen wurden, haben 6 Frauen diese Maße – und ob diese Frauen ein gesundes oder ungesundes Essverhalten haben, ob sie vielleicht Schönheitsoperationen hinter sich haben, wissen wir nicht. (Siehe: Der Standard, 4.1.2013)
Wie extrem Models gestylt, geschminkt und beim Fotoshooting inszeniert werden und wie ihre Bilder am Computer noch weiter verändert werden, zeigt der Clip „Dove Evolution“. 2000 bis 5000 so bearbeitete Bilder sehen wir jede Woche. (Siehe: Susie Orbach: Bodies. Schlachtfelder der Schönheit. Hamburg 2012.) Wie sollte das nicht auf uns wirken?
https://www.youtube.com/watch?v=iYhCn0jf46U
Man hört zunehmend öfters von Plus Size Models oder molligen Sängerinnen und Schauspielerinnen und Sprüche wie „Echte Frauen haben Kurven“ werden immer populärer. Wie bewertest du diesen Trend?
Ja, es gibt auch den Gegentrend, hin zu Curvy Models, der in den letzten Jahren stärker wurde. In den Workshops hören wir, dass er von den Mädchen auch wahrgenommen wird, doch es überwiegt das Schlankheitsideal. Der Trend ist gut, wenn dadurch Vielfalt sichtbar wird. Die Gefahr ist aber, dass einfach eine neue Norm die alte ersetzt. Es soll aber nicht darum gehen, wie eine „richtige“ Frau auszusehen hat, sondern wie richtige Frauen eben aussehen: nämlich vielfältig!
Allerdings sieht man im Gegenzug auch vermehrt fettleibige Personen, die sich stolz präsentieren, aber auch das ist gesundheitlich nicht unbedenklich. Kannst du etwas zu dieser Extreme sagen?
Wir halten die Gleichsetzung von dünn = gesund für problematisch. Gesundheit hängt von sehr viel mehr ab, als vom Gewicht! Wenn ich tatsächlich eine gewichtsbezogene Erkrankung (Anorexie, Adipositas) habe, brauche ich in beiden Fällen professionelle Hilfe.
Oftmals scheint der Gedanke da zu sein, nur wer optimiert ist und den Idealen entspricht, kann glücklich sein. Ist das tatsächlich der Schlüssel zum Glück?
Natürlich nicht. Die Werbung will es uns so verkaufen. Es hängt aber nicht von Körpermaßen ab, ob ich mich in meinem Körper und meinem Leben wohlfühlen kann. In Workshops begegnen wir Mädchen, die nicht dem Schlankheitsideal entsprechen (wer tut das schon) und sich wohlfühlen, zufrieden und glücklich sind.
Habt ihr Tipps für uns, wie man sich im eigenen Körper wohlfühlen kann? Wie kann man Bodyshaming entgegensteuern?
Gutes Körpergefühl aufbauen, üben, den eigenen Körper gut zu spüren, Genuss und Entspannung kultivieren, statt sich immer nur von außen zu betrachten.
Vor allem aber: Die äußere Erscheinung ist nur ein Puzzlestein meiner ganzen Persönlichkeit. Da gibt es noch viel mehr: Humor, Intelligenz, Können, Begabungen, soziale Stärken, Fantasie, Ausstrahlung … Das alles zusammen macht mich aus.
Man hört ja oft, dass man sich akzeptieren soll, wie man ist. Wie schafft man das? Und wie schafft man es, sich nicht von den Kommentaren anderer beeinflussen zu lassen?
Man muss sich nicht jeden Tag super und schön fühlen. Ist auch ok! Einfach Fokus weg vom Aussehen – siehe oben – nicht ganz so wichtig nehmen, sich um anderes kümmern. Ein Anfang ist: Gut und wohlwollend zu sich selbst und den anderen Frauen und Mädchen sein.
Es geht dabei auch um Geschlechterrollen und darum, dass Mädchen früh eingeredet wird, dass Aussehen ganz wichtig ist. Damit werden sie letztlich beschäftigt und unter Kontrolle gehalten. Hier gilt es gesellschaftlich anzusetzen, sich zu wehren! Wenn wir nicht mehr ständig dem Schönheitsmythos nachhecheln, wie viel Kraft, Zeit und Geld für Wesentlicheres bleibt uns.
Wo kann man sich bei Fragen hinwenden? Gibt es Stellen für Betroffene?
Rat bieten etwa Frauengesundheitszentren, Frauen- und Mädchenberatungsstellen und Rat auf Draht (Telefonnummer 147). Eine Sammlung von steirischen Beratungsstellen und Angeboten gibt es auf der Website des Grazer Frauengesundheitszentrums
fyi – for your info
HBSC-Studie, Gesundheit und Gesundheitsverhalten österreichischer SchülerInnen
HBSC-Factsheet 05: Das Körperselbstbild von österreichischen Schülerinnen und Schülern. HBSC-Ergebnisse 2014
Bodyshaming – Wiener Programm für Frauengesundheit. Studie, Focusgruppe, Videos
Schön genug – Informationen des Frauengesundheitszentrums für Mädchen
Feel-ok: Umfassende Informationen für Jugendliche zu Ernährung, Gewicht, Selbstbewusstsein und mehr
Frauengesundheitszentrum: Informationen zu Essproblemen, Broschüre mit Beratungsstellen, Links
No Hate Speech
Danke, Felice und Veronika!
ELISABETH GRABNER
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