Interview zum Thema SUCHT
Sophia sprach mit Harald Koberg, Digitalisierung + Gesellschaft und Gaming-Experte über das Thema Sucht unter Jugendlichen.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Suchtverhalten im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung und der Verbreitung digitaler Medien in den letzten Jahren entwickelt?
Studien deuten klar darauf hin, dass die Zahlen steigen und das spiegelt sich auch in der Selbstwahrnehmung von Jugendlichen wider. Während der Lockdowns ist die Zeit, die mit digitalen Medien verbracht wurde, für viele Menschen stark gestiegen, aber während sich diese Zeiten nach der Pandemie für die Mehrheit der Bevölkerung wieder eingependelt haben, auf die Werte von vor der Pandemie, gibt es offenbar auch viele, deren digitaler Medienkonsum auf einem sehr hohen, teils problematischen Level geblieben ist. Ganz allgemein kann man wohl sagen, dass die suchthafte Nutzung digitaler Medien ein wachsendes Problem ist.
Wie können Eltern und Erziehungsberechtigte erkennen, ob ihre Kinder ein problematisches Suchtverhalten im Zusammenhang mit der Internetnutzung entwickeln?
Wichtig ist es zu verstehen, dass es nicht vorrangig um die mit den Medien verbrachte Zeit geht. Ich kann meine ganze Freizeit mit digitalen Medien verbringen, ohne abhängig zu sein, auch wenn problematisches Nutzungsverhalten und hohe Nutzungszeiten natürlich zusammenhängen. Um Probleme zu erkennen, sollten Eltern aber vor allem auf die anderen Lebensbereiche schauen: Leiden Freundschaften, leidet die Ausbildung oder die Arbeit unter der Mediennutzung? Werden Dinge vernachlässigt, die den Kindern früher wichtig waren? Wenn das der Fall ist, ist es an der Zeit genauer hinzusehen.
Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen für die Entstehung von Videospielabhängigkeit und wie können Betroffene Hilfe finden?
Verhaltenssüchte wie Videospielabhängigkeit entstehen immer in Reaktion auf die Lebensumstände. Natürlich gibt es Spieldynamiken, die Abhängigkeiten eher begünstigen als andere, aber es ist wichtig, außerhalb der Spielwelten nach den Ursachen zu suchen. Überforderung, soziale Unsicherheiten, Einsamkeit und viele andere negative Gefühle können ein Grund sein, digitale Spielwelten als besonders reizvoll zu erleben und sich eventuell zu sehr in diese zurückzuziehen. Auch hier ist aber wieder zu betonen, dass ein intensives Hobby noch lange keine Abhängigkeit bedeutet. Auch unter der Gruppe der Spieler:innen, die zwanzig Stunden oder mehr pro Woche spielen, nutzt die überwiegende Mehrheit das Medium unproblematisch, auch wenn sich hier natürlich die Frage der Prioritätensetzung stellt: Will ich diesem Hobby so viel Zeit widmen?
Inwiefern trägt die Digitalisierung zur Normalisierung von Suchtverhalten bei, insbesondere unter jungen Menschen?
Das ist eine heikle Frage, weil neue Medien immer erst einmal im Verdacht stehen, ganz furchtbare Auswirkungen auf die Jugend zu haben. Es steht außer Frage, dass es viele junge Menschen gibt, die einen auf die eine oder andere Weise problematischen Umgang mit digitalen Medien haben. Es spricht aber viel dafür, hier klar zu differenzieren. Wenn ich die halbe Nacht durch TikTok scrolle ist das ganz etwas anderes als exzessiver Pornokonsum, Onlinekaufsucht oder Videospielabhängigkeit. Das digitale ist hier zwar ein verbindender Faktor, aber die Ursachen und Hintergründe sind ganz unterschiedliche. Ich würde also sagen: Digitale Medien spielen eine immer größere Rolle in unserem Alltag und daher spielen sie auch eine immer größere Rolle in unserem Abhängigkeitsverhalten. Normalisiert ist in Österreich allen voran der Alkoholmissbrauch. In Bezug auf digitale Medien ist die Sache tendenziell anders herum. Da wird oft von Sucht gesprochen, wo noch nicht einmal problematische Nutzung vorliegt.
Welche präventiven Maßnahmen könnten ergriffen werden, um Suchtverhalten im Zusammenhang mit der Internetnutzung zu reduzieren?
Konkret scheint es wichtig, dem immer früheren Einstiegsalter entgegenzuwirken und Eltern zu sensibilisieren. Das frühe Einstiegsalter also der Zeitpunkt, zu dem Kinder das erste eigene Handy bekommen – das zeigt etwa eine aktuelle Studie des Gesundheitsfonds Steiermark – steht in direkter Verbindung mit der Wahrscheinlichkeit einer späteren, suchthaften Nutzung. In allererster Linie müssen wir aber den Eltern klarmachen, dass die Kinder an ihrem Beispiel lernen. Wenn Eltern ständig ein Handy in der Hand haben und ihre Freizeit mit Netflix und Social Media verbringen, helfen auch strenge Regeln wenig. Die Vorbildwirkung ist der wichtigste Faktor und exzessive Mediennutzung ist kein Jugend- sondern ein Gesellschaftsproblem.
Wie können Bildungseinrichtungen und Gesellschaft insgesamt dazu beitragen, ein gesundes Verhältnis zur digitalen Welt zu fördern und Suchtverhalten entgegenzuwirken?
Die effektivste Suchtprävention ist Lebenskompetenz. Digitale Medien erweitern unsere Lebenswelten in rasendem Tempo und in unterschiedlichste Richtungen und wir müssen als Gesellschaft die Kompetenzen entwickeln und fördern, damit gut umzugehen. Dazu braucht es viel unvoreingenommene Offenheit und Strukturen, in denen das Know-how fortlaufend entwickelt und schnell weitergegeben wird.
Lebenskompetenz bedeutet aber auch die eigenen Ressourcen zu kennen, zu wissen was mir guttut und was mich unter Druck setzt; Strategien zu haben, um mit Konflikten und Problemen umzugehen. Um das zu fördern, müssen wir Kindern und Jugendlichen Freiräume geben, um sich selbstständig zu entwickeln und ihre eigenen Erfahrungen zu machen und wir müssen ihnen Halt geben und den Rücken stärken, wenn es einmal nicht gut läuft. Sie pauschal als Smartphon-Zombies und Videospielabhängige zu verurteilen, ist sicher nicht förderlich.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Schritte, um das Bewusstsein für die Risiken von Suchtverhalten im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu schärfen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen?
Dieses Interview ist vielleicht einer der kleinen Schritte, von denen es viele braucht. Notwendig ist eine intensivere und reflektiertere öffentliche Debatte über das Thema. Die Studienergebnisse, die uns als Gesellschaft wach rütteln sollten, sind da. Jetzt müssen wir sie wahrnehmen und auf sie reagieren. Wie in den Videospieldebatten der vergangenen Jahrzehnte verhindern auch hier unseriöse Pauschalurteile, dass reale Probleme gesehen und bekämpft werden. Wo behauptet wird, die Jugendlichen seien ja alle Handy-süchtig, werden die einzelnen nicht gesehen, die wirklich und konkret Hilfe benötigen.
fyi – for your info
In der Steiermark gibt es einige Stellen, die Beratung und Hilfe anbieten. Etwa die Drogenberatung des Landes, der Verein Enter oder der Grüne Kreis. Für Eltern und Erziehungsberechtigte geht es oft erst einmal darum, das Verhalten ihrer Kinder einzuordnen. Da sind Gespräche mit Expert:innen ein wichtiger erster Schritt.
Beitragsbild: luckakcul/AdobeStock
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